Denn Früher
Rückblickend
Inhaltsschwangere Blicke, die hoffnungsvoll über Schultern geworfen
werden, denn früher. Früher war doch alles besser. Idealisieren? Wie eine
Sanduhr nur die sonnigen Stunden gezählt haben? Kann das sein? Ist das
menschliche Gehirn so einfach zu überlisten? Und wenn ja, welchen Erinnerungen
kann ich dann noch Glauben schenken?
Zurückblicken. Ich weiß, dass alle Leute sagen, dass das nicht gut sein
kann, dass etwas bewusst zurückgeblieben ist, hinter einem gelassen wurde. Ich
weiß nicht, denn früher.
Stell dir doch mal vor, du fährst mit 160 Sachen auf der mittleren Spur
und willst überholen, vorankommen, weiterkommen. Wie oft ist es schon
vorgekommen, dass Menschen umkommen. Bei unvorsichtigen Überholmanövern. Ohne
Blick für das, was hinter ihnen geschieht. Denn auch das, was hinter uns liegt,
so glaube ich, kann uns wieder einholen. Und uns in die Knie zwingen. Deswegen
glaube ich, dass ein Blick zurück doch auch ganz hilfreich, lehrreich sein
kann. Schließlich ist unsere Vergangenheit nichts, was nicht mit uns zutun hat.
Sie ist ein Teil von uns. Teil unserer Persönlichkeit. Teil unserer
Entwicklung. Teil unserer Sicht auf die Welt und auf uns selbst. Teil unserer
Erfahrungen, unserer Fehler und unserer Motivationen. Und egal, was in mancher
Leute Vergangenheit passiert sein mag, daran sollten sie sich erinnern. Denn
früher. Denn früher, ja, war vielleicht nicht alles besser, aber zumindest
einiges anders. Wir waren anders. Und vielleicht ist es hilfreich, mal inne zu
halten, zurück zu schauen und sich darüber zu freuen, wo man heute steht, wo
man hin gekommen ist und was man geschafft hat und dass diese Entwicklung nicht
vielleicht doch auch ein wenig den Erfahrungen in unserer Vergangenheit zuzuschreiben
ist?!
Denn früher. Früher waren wir genauso wir. Waren eventuell noch
unerfahrener, weniger vorbelastet, würde der Pessimist es wohl nennen. Aber ich
sehe Vergangenheit nicht als Ballast. Was auch immer passiert sein mag. Denn
Früher ist ein Teil unserer Selbst. Unserer Sicht auf die Welt. Ein Teil von uns.
Mit allem, was wir tun, mit jedem Akt der Güte, der Liebe, der Zuneigung, der
Angst, der Trauer und der Wut, erschaffen wir ein Stück Vergangenheit, dein
Stück von uns, ein Stück Zukunft. Wir sind in der Lage, mit dem Gestern unser
Heute und unser Morgen zu bestimmen, wenn wir uns das bewusst machen. Denn der
Mensch kann bereuen, Scham und Abneigung empfinden. Der Mensch ist in der Lage,
zu resümieren, zu analysieren und zu verstehen. Also glaube ich nicht, dass es
schlau wäre, sich von seiner Vergangenheit frei zu machen. Denn egal, was
passiert ist, wie sehr wir der Meinung sind, dass sie uns verkorkst hätte, uns vorsichtiger
oder kühler gemacht hätte – durch all das wachsen wir. Wir wachsen an uns
selbst. Mit jeder Minute, die unser Leben voranschreitet und mit allem, was in
diesen Minuten passiert. Und eben weil wir resümieren können, lernfähig sind,
können wir immer mal stehen bleiben und zurückschauen. Und versuchen zu
begreifen, was hätte besser laufen können. Aber deswegen sollten wir nicht
zurückgehen, um bei Null anfangen zu wollen. Denn wir werden niemals bei Null
sein. So sehr sich das Menschen manchmal auch wünschen. Wir können hier nicht
raus, nicht zurück. Wir haben diese eine Chance. Und wir haben nach
abschließenden Resümees nur die Möglichkeit, daran zu wachsen und das nächste
Mal, beim nächsten Versuch schlauer zu sein. Aber das können wir nur, wenn wir
ab und zu innehalten und zurückblicken.
Zurückblicken, um voran zu kommen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen