Wirklich sehen.

Wenn ich so über mich nachdenke, in ruhigeren Minuten, dann wird mir klar, dass ich wohl manchmal ganz schön seltsam bin. Manchmal beobachte ich mich von außen, während einer Unterhaltung oder irgendwelchen anderen ganz alltäglichen routinierten Tätigkeiten. Und dann merke ich, wie seltsam wir alle uns manchmal verhalten. Wir laufen manchmal durchs Leben, als wäre es unser gottgegebenes Recht. Wir haben keine Augen für die anderen. Wenn jemand behauptet, die Menschen sind egoistisch wie sonst niemand, ich würde ihm vorbehaltlos zustimmen. Natürlich ist dieses Verhalten in erster Linie auch nur ein biologischer Trieb und von der Natur so vorher bestimmt, jedoch will ich mich manchmal einfach nicht so hin nehmen. So als könnte ich gar nicht anders, als mich nicht für die Menschen zu interessieren, mit denen ich mich Tag für Tag umgebe. Von wie vielen deiner Freunde und Bekannten kennst du die Augenfarbe ohne lang darüber nachzudenken? Mich hat meine ehrliche Antwort ziemlich erschreckt. Wir Menschen sind so versessen auf der Suche nach dem Großen, dem Besten, nach der Steigerung von all dem, was wir haben, dass wir für die kleinen Dinge, die wunderschönen, überhaupt keinen Blick mehr haben, weil wir sie als unbedeutend werten. Oder wir nehmen sie als selbstverständlich hin. Als Dinge, die wir noch tausend mal sehen könne in unserem Leben. Das halte ich offenkundig für Schwachsinn. Mich hat vor Kurzem ein junger Mann auf der Straße angesprochen. Ich war im Stress und deswegen stark genervt aufgrund der Störung und machte mich schon darauf gefasst, ihm gleich meine schlechte Laune zu präsentieren. Da sagte er lediglich: "Du schaust zwar schlecht gelaunt, aber deine Augen lächeln. Du hast wunderschöne Augen." Da musste ich lächeln. Und er auch. Und es war das einfachste und gleichzeitig das wunderschönste und bedeutendste, was mir an diesem Tag, in dieser Woche gesagt wurde. Und es hat mir auch klar gemacht, wie einfach es sein kann. Und wie viel diese scheinbar so kleinen, unscheinbaren Dinge für eine unglaubliche Bedeutung haben können. Wie viel wir in ihnen sehen können. Und wie viel sie über uns selbst sagen, wenn wir sie denn wahrnehmen. Seit diesem tag versuche ich mir die Augen meiner Gesprächspartner zu merken. Und ich muss sagen, sie sind teilweise atemberaubend. Man kann sich leicht in Augen verlieren. Und sie sagen einem so viel mehr als jedes Wort, was in einem Gespräch fallen kann. Ich danke diesem Mann dafür, mich auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Und ich rate euch, genauer hin zu sehen. Nichts ist selbstverständlich. Ich frage mich auch immer wieder, was ich bereuen würde, nicht gesagt oder nicht beachtet zu haben, sollte ich morgen sterben. Natürlich vertrete ich nicht die Einstellung, jeden Tag so zu leben, als wäre morgen alles vorbei. Denn dann bleibt einem am nächsten Tag eigentlich nichts, um sich darauf zu freuen. Aber allein das Nachdenken darüber, was mir so wichtig ist, dass ich es bereuen könnte, es nicht gesagt oder getan zu haben, das macht mich glücklich. Denn jedes Mal, wenn ich merke, wie viele dieser Dinge es in meinem Leben gibt, desto deutlicher zeigt es mir, dass ich ich bin. Dass ich Wünsche und Hoffnungen habe. Und das macht mich unglaublich glücklich. Denn auch, wenn ich mir manchmal nicht sicher bin, wer ich bin und wie ich sein möchte, diese kleinen Details verraten mir so viel über mich selbst... Es ist genauso wie das bewusste Beobachten von Augen. Die Gewissheit, dass wir etwas wirklich sehen, wenn wir es sehen.

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