Unterwegs

Das Leben, unterwegs.
Oft wird das "Unterwegs sein" mit Reisen in Verbindung gebracht. Dem schlichten Gehetze von A nach B. "Bin Unterwegs" heißt, man ist auf dem Weg irgendwohin. Die Menschen meinen, sie wären unterwegs, wenn sie schnell und mit gesenktem Blick die Straße entlang laufen. Es hat etwas von Ameisen. Scheinbar ein großes Gewusel, aber jeder mit einer Aufgabe - man ist ja geschäftig. Schließlich ist man unterwegs. Das Unterwegs sein ist also ziemlich existenziell wichtig und vorrangig in unserem Leben. Wenn man auf dem Weg zu einem Ziel ist, ist man unterwegs. Laut Duden ist diese Definition tatsächlich korrekt. Oft passiert es aber, dass Dinge, die anfangs noch total klar und strukturiert gewirkt haben, bei längerer Betrachtung immer unschärfer werden. Im Duden ist die Grenze der Deutung dieser Redewendung klar abgesteckt. Sie lässt keinen Platz für Zweideutigkeit. Aber mal ehrlich - wer kennt diese Situation nicht, über ein Wort sehr lange nachzudenken, es immer wieder auszusprechen und am Ende zu bemerken, dass dieses Wort, was eigentlich eine klare Bedeutung hat, absolut keinen Sinn mehr ergibt?! Genauso geht es mir, je länger ich über dieses "Unterwegs sein" nachdenke. Und am Ende bleibt nicht mehr dieses schöne Schwarz auf Weiß aus dem Duden übrig, sondern es ist irgendwie vage geworden. Aus schwarz-weiß wird Grau in vielen Schattierungen.
Meine liebste Grau-Nuance vom "Unterwegs sein" ist jedoch die des Entwicklungsprozesses. Wachstum und Weiterentwicklung spielen unser ganzes Leben lang eine entscheidende Rolle, und ich denke, jeder würde mir zustimmen, wenn ich behaupte, dass es fatal wäre, sich bei diesem Prozess nicht in Bewegung zu befinden. Vor allem die Phase der Pupertät, die oft einfach nur mit einem Augenrollen kommentiert wird, ist für mich ein Abschnitt des Lebens, in dem man sehr viel unterwegs ist. Sowohl körperlich als auch mental. Es ist, wie im Erziehungsratgeber für emanzipierte Eltern so schön ausgedrückt, die Zeit der Selbstfindung. Kinder laufen am Montag begeistert in eine Richtung los und bemerken oft schon am Mittwoch, dass diese Richtung scheinbar doch nicht so das Wahre war. In dieser Zeit ist es wichtig, unterwegs zu sein, vor allem in Gedanken. Es ist wichtig festzustellen, wohin es gehen soll. Unterwegs ist man also auf keinen Fall nur, wenn man sich entschließt, sich von der Couch nach Malle an den Strand zu verlagern. Unterwegs sein bedeutet für mich Erfahrung. Man bewegt sich in eine bestimmte (aber oft eher doch unbestimmte) Richtung vorwärts und die Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse sind das, was uns mobil macht, was uns anspornt weiter unterwegs zu sein, Neues zu erkunden und noch mehr Erinnerungen in den Rucksack zu stopfen. Denn Gesammeltes, egal wie viel man mit sich trägt, ist keine Last. Ist man am Strand einmal ganz begeistert vom Muscheln und Steine sammeln, dann sind die Taschen plötzlich ganz groß und das Gewicht spielt keine Rolle mehr - denn man weiß ganz genau, wie stolz man hinterher die Funde präsentieren kann. Ähnlich ist es mit dem Unterwegs sein. Natürlich ist man unterwegs, wenn man einen Fuß vor den anderen setzt, mit dem Auto quer druch Europa oder auch nur mit dem Fahrrad zur Schule fährt. Das ist die alltagsgebräuchliche Form des "Unterwegs seins". Doch, die meines Erachtens nach, lebensgebräuchlichere Form dieser Aussage, ist die gedankliche Reise - die Entwicklung der Persönlichkeit - die Schritt für Schritt von statten geht. Denn das eigentliche Phänomen an dieser ganzen Sache ist für mich, dass man gedanklich allein in einer Nacht, in einem Traum, in einer Vorstellung, mehr unterwegs sein kann, als man sein ganzes Leben zu Fuß jemals sein wird. Zum einfachen Existieren brauchen wir dieses "Unterwegs sein" gar nicht. Das Leben besteht aber aus Geschichten, die erzählt und Narben, die gezeigt werden können. Wir lernen jeden Tag dazu, entdecken uns jeden Tag neu. Wir sind jeden Tag aufs Neue unterwegs. Das heißt, die farbigste aller grauschattierten Definitionen des "Unterwegs sein" ist, dass wir ab dem Zeitpunkt unseres ersten Atemzugs unterwegs sind. Unterwegs, die Welt zu erkunden. Unterweg, um zu leben.

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