Ich denke, also bin ich.

Es ist anläßlich der fürchterlichen Morde in Paris wohl nötig, mal wieder Grundsätzliches über Komik und Satire zu sagen. Denn nicht nur islamistischen Terroristen, so unsere Erfahrung bei der Titanic, fehlt es da an der Grundausstattung. Komik ist zu allererst ein Mittel, dem Ernst des Lebens, der die meisten von uns bedrückt, selbst wenn nicht gerade Raketenwerfer in Redaktionsräumen abgefeuert werden, etwas entgegenzusetzen, im besten Falle seiner Herr zu werden. Und je ernster die Lage, desto wichtiger der Humor. Komik schafft Distanz zu bedrückenden Ereignissen, sie erlaubt, uneigentlich über eigentlich Unerträgliches zu sprechen – und so den Schrecken zu bekämpfen. (...) Und das dürfte der Grund sein, weswegen Fanatiker, speziell religiöse, Komik verachten. Sie vertreten eine todernste, einzige ewige Wahrheit, und der Witz – egal wie klug oder lustig er im Einzelfalle sein mag – bedroht diese Wahrheit. Religion (und so manch andere Weltanschauung) ist Wahnsinn im Kleide der Rationalität, Satire und Komik Rationalität im Kleide des Wahnsinns. Das eine muß das andere mißverstehen. Deshalb werden Vertreter des heiligen Ernstes der Komik stets mit Zorn begegnen. Und es ist ihr gutes Recht. Solange sie dies mit denselben Waffen wie Satiriker tun: mit Wort und Bild. Und nicht mit Maschinenpistolen.

von Tim Wolff, Chefredakteur TITANIC
[08.01.2015]
 Ich denke, also bin ich.

Solidarität. 
Faries Miteinander. Gleichberechtigung. Zusammenhalt. Gruppendynamik. Ethik. Freiheit. Meinung. Reden. Ohne Angst. Kein Versteckspiel. Offenheit. Klarheit. Ehrlichkeit. Gemeinsamkeiten. Unterschiede. Akzeptanz. Stärke. Zugehörigkeit.
Worte, die alle das gleiche aussagen. Jeder Mensch hat sein ganz eigenes Gesicht. Ein äußeres und ein inneres. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte. Seine ganz persönlichen Träume, Wünsche und Hoffnungen. Eigenheiten, die jeden einzelnen zu etwas Besonderem machen. Solidarität ist nichts, das nur bestimmten Menschengruppen zusteht. Solidarität ist ein Wort. Fest im Sprachgebrauch verankert, also nicht personengebunden. Solidarität bedeutet unbedingtes Zusammehalten und das Eintreten für einander. Sie gebührt also jedem Individuum, frei von Vorurteil und Glaube.
Meinung. Reden. Freiheit.
Menschen sind unterschiedlich. Je schneller man feststellt, dass es nicht funktioniert, in Schubladen zu denken und Menschen aufgrund von Glaube, Staatszugehörigkeit, Hautfarbe und sozialem Stand nicht automatisch verurteilen kann, desto entspannter lebt man. Ja, es kommt vor, dass der von Nebenan einen anderen Musik-Geschmack hat oder 5x am Tag Richtung Mekka betet. Und ebenso kommt es vor, dass Frauen Ganzkörperschleier gerne tragen oder in China gerne Hunde gegessen werden. Kulturen, die sich unabhängig voneinander entwickeln, sind eben verschieden. Treffen solche aufeinander, reagieren sie. Ähnlich wie Sauerstoff und Schwefel. Unterschiedliche Vorstellungen und Lebenseinstellungen treffen in Ländern in der Bevölkerung aufeinander und stoßen sich an den jeweils anderen Kanten. Entweder arrangiert man sich und tritt in den gemeinsamen Austausch oder die Kanten reiben sich aneinander auf und es kommt zum Brand. Eben das ist in Frankreich passiert. Der Franzose fühlt sich durch Ganzkörperschleier und Kopftücher bedroht und verbannt sie per Gesetz von den Straßen. Eine Satire-Zeitschrift druckt Mohammed ab und zieht ihn ins Lächerliche. Ihr gutes Recht?! Sie arbeiten schließlich in einem Land mit Meinungs- und Pressefreiheit. Wo liegt also das Problem? Das Problem findet sich schnell. Im Koran ist es strengstens verboten den Propheten darzustellen. Wer es tut verät den islamischen Glauben. Für wahrscheinlich größtenteils atheistische Grafiker kein wirkliches Hindernis. Sie glauben weder an Alah, noch an Mohammed und sind dem Koran nicht unterwürfig. Zudem bedient sich die Satire-Kunst oft genug religiöser Themen. Eine Grauzonen-Situation entsteht. Jede Partei sieht sich im Recht, ist die ethische Frage schließlich nicht ausreichend geklärt. Der Islamist fühlt sich in der Schuld, seinen Glauben und seinen Gott zu rächen. Es hat schlichtweg etwas mit Menschenachtung und Gleichberechtigung zutun, die Gesetze anderer Kulturen, auch als Nicht-Gläubiger, zu achten. Der Satire-Künstler auf der anderen Seite beharrt mit gutem Recht auf dem Gesetz der Meinungsfreiheit. Ein ethischer Konflikt entsteht, dessen Höhepunkt in einen brutalen Terror ausartet.

Paris. 07. Januar 2015. 11:30 Uhr.
Während der wöchentlichen Dienstbesprechung am Mittwoch-Mittag dringen die Brüder Saïd und Chérif Kouachi in die Redaktionsräume der Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" ein. Sie erschießen 11 Menschen und verletzten etliche Anwesenden. Im Feuersturm rufen sie immer wieder Parolen wie "On a vengé le prophète!" („Wir haben den Propheten gerächt!“) Auf ihrem Fluchtweg erschießen sie einen Polizisten, bauen einen Autounfall, lassen einen Perso im kaputten Auto liegen und verbarikadieren sich in einer Druckerei. Die Täter bekennen sich schließlich als Al-Qaida-Anhänger und lassen sich schlussendlich, sich selbst als Märtyrer betitelnd, im Feuerhagel von Einsatzkräften erschießen.

Paris. 08. Januar 2015.
Eine Polizistin wird im Süden von Paris erschossen. Der schwerbewaffnete Täter drang am Tag darauf in einen koscheren Supermarkt im Osten der Stadt ein, erschoss vier Menschen und nahm weitere als Geiseln. Der Täter bekannte sich telefonisch zum Islamischen Staat und erklärte, sein Vorgehen stehe in Verbindung mit dem Anschlag auf Charlie Hebdo. Er wurde bei der Erstürmung des Supermarktes durch die Sicherheitskräfte erschossen.
 
JE SUIS CHARLIE.
"Ich bin Charlie." Eine Parole, die innerhalb von zwei Tagen die ganze Welt bewegte. Sie steht für die Solidarität und das Bekenntnis zur Meinungsfreiheit jedes Einzelnen. Die Terror-Anschläge in Paris haben mit einer erschütterlichen Kraft deutlich gemacht, wie schmal der Grad zwischen Meinungsfreiheit und Gewalt ist. Je suis Charlie soll zeigen, dass Menschen sich nicht verbieten lassen, ihre Meinung kunt zu tun und sich nicht einschüchtern lassen. Die Frage, wie weit Meinungs-,Presse- und Kunstfreiheit jedoch gehen dürfen und wo doch Grenzen sind, wird allerdings nicht mit ins Gespräch gebracht. Charlie Hebdo war sich ihrer Grenzwanderung scheinbar bewusst, denn schon im November '11 wurde ein Brandanschlag auf die Redaktion verübt. Und auch eine Woche nach dem Attentat, in der ersten Ausgabe, war Mohammed groß auf dem Titelblatt verhöhnt worden. Sich nicht unterkriegen zu lassen ist das eine. Aber muss es wirklich im Rahmen solcher öffentlichen Provokation sein ?

Ich denke, dass wir alle stolz auf unsere vielen Freiheiten sein können. Schließlich wäre ich sonst nicht in der Lage, mich öffentlich dazu zu äußern. Ich denke auch, dass es wichtig ist, seinen Standpunkt zu vertreten. Eine eigene Meinung zu haben. Selbst über richtig und falsch, gut und böse entscheiden zu können und nicht nur den allgemeinen Fraß der Masse schlucken zu müssen. Jedoch ziehe ich unter all meinen Möglichkeiten der freien Meinungsäußerung eine klare Grenze zu jeglicher Art des Verhöhnens oder der Zurschaustellung anderer. Für mich ist die Belustigung an religiösen Ansichten oder Lebenskultur tabu, sobald damit die Würde des Menschen angegriffen wird. Satiriker sehen so etwas nicht so eng. Satire ist schließlich eine Kunstform, die den Ernst oder die Bedrohlichkeit für kurze Zeit aus Dingen nehmen soll. Sie bedient sich überspitzter Klischees und Vorurteilen zugunsten des Witzes. Ich habe persönlich nichts gegen Satire. Für mich hört der Spaß dann auf, wenn klare Grenzen überschritten werden. Es ist für mich eine Frage des Respekts und des Anstands gegenüber anderen Kulturen und Glaubensrichtungen, die mich so denken lässt. In Frankreich wird von Musliminnen schließlich auch erwartet, dass sie sich an das Gesetz des Verbots von Ganzkörperschleiern halten. Für diese Frauen wird dieses Gesetz sicher keinen Sinn machen und sie tun es sicher auch nicht gerne, aber sie akzeptieren es. Warum also sollte der Franzose dann ein Gesetz des Islams nicht akzeptieren, egal, wie abwägig es für ihn zu sein scheint? Es wäre immerhin fair. Und die andere Frage ist auch: Welcher Muslim hat schon einmal Gott versucht dazustellen und ins Lächerliche gezogen?
Bei aller Solidarität und Betroffenheit gegenüber der brutalen Anschläge in Paris sollten wir uns auch die Frage stellen, wer da welche Grenzen überschritten hat und uns über unser aller Verhalten klar werden. Wie weit dürfen Menschen für ihre Überzeugung gehen?

Trotz allem bekenne ich mich ganz klar als eine Charlie und somit zur allgemeinen Meinungsfreiheit. Der Terror sollte nicht die Macht haben, Münder zu stopfen und Gedanken zu stoppen. Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch. 
Ich denke, also bin ich.
Einen Mensch machen seine Gedanke, seine Gefühle, seine Meinung, seinen Standpunkt aus. Man ist kein lebendiger Mensch mehr, wenn man sich all das nehmen lässt. Respektvolle Äußerungen: JA. Einschüchtern lassen: NEIN. Auch ich werde nach Paris meinen Mund nicht halten. Ich werde weiter Stellung beziehen und meinen Blickwinkel aufzeigen. Jedoch hat mir der Terror noch einmal bewusst gemacht, dass es wichtig ist, zu wissen, wie weit ich gehen kann, ohne zu verletzen. Und ich hoffe, dass ich mit dieser Erkenntnis nicht allein bin.









Bedenke einmal, 
wie grau die Welt wäre, 
wäre nicht jeder Traum, jedes Wort und jeder Mensch 
eine eigene Farbe. 
Überleg dir einmal, 
ob grau tatsächlich 
die Lieblingsfarbe 
des Rassisten ist. 
                                  (Gianina Morgenstern)


Aufgrund des Umfangs dieses Posts äußere ich meine Ansichten zu der aktuellen Bewegung in Deutschland später. 
NO PEGIDA!

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