37,5 °C

37,5 Grad Celcius, durchschnittliche Körpertemperatur. Sie zeigt an, dass der Mensch lebt. 37,5 °C bedeutet Leben. Ein gesundes normales Leben. Für uns ist diese Temperatur normal. Wir erachten sie als selbstverständlich und nehmen sie als gegeben hin. Natürlich. Wir lernen sie erst zu schätzen, wenn uns dieser Grundbaustein unserer Existenz quasi unter den Füßen weg gerissen wird, wenn uns das Recht zu leben untersagt wird. Rein biologisch lebt der Mensch bei einer Körpertemperatur von 37,5 °C, aber kann er damit auch überleben? Vor ungefähr 70 Jahren entschied die Gesundheit in vielen Augenblicken über Leben oder Sterben. Das Erkennungsmerkmal des Lebens war viel mehr nötig für das Überleben und unter unmenschlichen Bedingungen alles andere als selbstverständlich.   
KZ BUCHENWALD






"Jedes Mal, wenn ich nach meinem Aufenthalt in Buchenwald gefragt werde, kann ich nur scharf einatmen, schlucken und versuchen zu erklären, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll. Auch jetzt, über eine Woche später finde ich immer noch nicht die richtigen Worte. Vielleicht so etwas wie Fassungslosigkeit, Entsetzen, Schock und Nachdenklichkeit, aber nichts trifft es wirklich perfekt. Ehrlich gesagt verbiete ich es mir auch noch ein wenig, über all die Eindrücke und Informationen richtig nachzudenken. Vielleicht ist das so eine automatische Funktion meines Gehirns zum Selbstschutz ; ich weiß es nicht. Die gesamten 3 Tage, die ich dort war, war es in mir einfach nur still. Und Stille kann tatsächlich unfassbar laut sein, ohrenbetäubend. Ja, taub ist ein gutes Wort. Alles was ich denke oder fühle zu diesem Thema fühlt sich an, wie in Watte gepackt und ich bin nicht in der Lage, sie auszupacken um ihre ganze Härte wahrzunehmen."  

(08.10.14, eine Woche nach dem Aufenthalt)





So schön, wie manche Bilder auch aussehen...dieser Ort ist alles andere als friedlich oder einladend. Selbst, wenn das schöne Wetter sein Bestes versucht hat. Es ist zwar nicht mehr viel übrig von dem, was an die Zeit des KZ Buchenwalds erinnert, jedoch gibt der Ort bei genauerem Betrachten doch den Blick frei auf seine düstere Vergangenheit. Jeder, der hier nur einen Tag lang war, weder dort übernachtet noch intensiv versucht hat, sich in die Geschichte hinein zu vertiefen, der wird die gesamte Tragweite dieser Gedenkstätte wohl kaum verstanden haben. Ich gebe zu, am ersten Tag auch enttäuscht gewesen zu sein und dass ich mir nichts von dem vorstellen konnte, was uns unser Gruppenleiter erzählt hatte. Auch dass wir in den ehemaligen SS-Kasernen wohnten, machte mir wenig aus. Es war schließlich alles renoviert worden. Am zweiten Tag änderte sich jedoch das Wetter von Sonnenschein und 25 Grad auf Wolken, Nebel und 17 Grad und mit dem Wetter auch meine Sicht auf den Ort.


























Am zweiten Tag sah ich viel mehr, als wirklich zu sehen war. Ich nahm die Umgebung anders wahr. Den ersten Rundgang machte ich bewusst ohne Kamera mit. Gute Entscheidung. Ich konnte mehr Gefühle zulassen, wenn ich nicht alles nur durch den Sucher betrachtete. Und das, was wir sahen, hatte es in sich. Ich muss dazu sagen, dass wir alle so empfanden, weil wir es zu ließen. Wir waren den zweiten Tag hier, die ganzen Witze und Kommentare wurden schon am Tag davor gemacht. Es wurde ernst genommen. Das hat mich auch sehr fasziniert. In jedem Raum, in jedem Gebäude, das wir uns angeschaut haben, waren alle komplett still. Niemand traute sich, irgendwas zu sagen. In dem Moment konnte ich mir das alles nicht so wirklich erklären. Ich wusste selbst nicht, warum ich nichts sagen wollte, warum alle anderen genau so still waren, wie ich. Jetzt im Nachhinein ist mir klar geworden, dass wir alle nicht so richtig wussten, WAS wir sagen sollten. Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich den ganzen Tag über nachdenklich und in mich gekehrt war. Ich habe kaum ein Wort gesagt. Bin sogar über eine Stunde in der Foto-Ausstellung herum gelaufen, damit niemand sehen konnte, dass ich immer wieder Tränen runterschlucken musste. Das klingt sicher für alle, die dort nicht länger als einen Tag waren, die nicht in Arbeitsgruppen zu Themen gearbeitet und nicht jeden Abend Filme über Lager wie Sachsenhausen geschaut hat, merkwürdig und nicht nachvollziehbar. Ich hätte auch an unserem ersten Tag in Buchenwald nicht gedacht, dass ich emotional wirklich noch so krass reagieren würde. Ich glaube auch, das, was am besten verdeutlicht, wie sehr mich das alles dort berührt und bewegt hat, ist die Tatsache, dass ich erst jetzt, fast 8 Wochen später, über unseren Aufenthalt dort schreiben kann. Als ich damals gefragt wurde, wie ich es dort fand, was ich für Eindrücke mitgenommen hab, konnte ich nur mit den Schultern zucken und "Keine Ahnung." sagen. Ich wusste es wirklich nicht. Ich wollte auch nicht drüber nachdenken. In mir war dazu irgendwie nichts. Als wollte ich jeglichen Gedanken darüber verdrängen und stattdessen das schwarz-weiße Störrauschen vom Fernseher drüber legen, um ja nicht dran zu kommen. Ich bin mir auch jetzt noch nicht so ganz im Klaren darüber, was ich fühle und denke, wenn ich alle Eindrücke und Erinnerungen noch mal durchgehe. Ich bin nach wie vor emotional berührt von dem Thema, kann aber nicht sagen, auf welcher Ebene genau. Aber vielleicht ist es genau das. Vielleicht verdient dieser Ort und das, was dort geschehen ist, gar nicht mehr als Schweigen. Als die stille Gewissheit, dass man mitfühlt, dass man überhaupt etwas fühlt.
Wenn Schweigen mehr sagt, als Worte es können.
Vielleicht braucht es gar nicht mehr, als diese Erkenntnis. Dass man Bescheid weiß. Dass man weiß, dass Worte nicht ausreichen, um Gewalt, Schmerz und Unmenschlichkeit zu beschreiben. Dass man weiß, dass Schweigen manchmal das Mitgefühl ausdrückt, zu dem Worte nicht in der Lage sind.
Stille.

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